Das Gesetz von Murphy
Jeder von uns wird tagtäglich - bei der Arbeit, bei der Ausübung des Hobbys, wie auch im ganz privaten Bereich - mit dem Gesetz von Murphy konfrontiert. Doch bleibt dies meistens unbewußt, weil dieses Gesetz - obwohl es weitaus universaler als das Ohmsche Gesetz ist - zumindest bei uns fast unbekannt blieb.
Von der Existenz des Gesetzes von Murphy wußte ich seit längerem durch gelegentliche Bemerkungen in amerikanischen Zeitschriften; doch erst kürzlich gelang es, über die Literaturstelle(1) eine Originalarbeit(2) ausfindig zu machen, welche die Geschichte von Edsel Murphy's Entdeckung und ihre Auswirkungen ausführlich behandelt. Ich halte es für meine Pflicht, diese Erkenntnisse hiermit weiterzugeben - erklären sie beispielsweise endlich, warum der Chef ausgerechnet immer dann den Raum betritt, wenn man nach stundenlanger, intensiver Arbeit den Arbeitsplatz für das nächste Projekt aufgeräumt hat und einen Augenblick lang nachdenklich aus dem Fenster schaut.
1. Edsel Murphy
Der Amerikaner Edsel Murphy entdeckte und formulierte als Erster die "Gesetzmäßigkeiten des stetigen Ärgernisses". Anstoß zu seiner philosophischen Denktätigkeit war die ihm unbequeme Mitteilung seiner Braut, daß ein Thronfolger für die Familie zu erwarten sei. Auch die Tatsache, daß ihm in späteren Jahren der sichere Platz in der Ruhmeshalle großer Forscher und Entdecker versagt blieb, kann nur als Auswirkung seines eigenen Gesetzes erklärt werden, dessen Originalfassung lautet:
If anything can go wrong, it will.
Dies kann etwa so übertragen werden:
Falls irgendetwas schiefgehen kann, dann geht es schief.
Oder in exakter mathematischer Form: 1 + 1 → 2
worin → das mathematische Symbol für "kaum jemals" ist.
Zur Erläuterung dieses universalen Gesetzes werden im Folgenden einige Anwendungsbeispiele aus dem Bereich der Elektronik angeboten.
2. Das Gesetz von Murphy in Forschung und Entewicklung
- Je harmloser eine Konstruktionsänderung erscheint, desto weittragender sind ihre tatsächlichen Folgen.
- Die Notwendigkeit für eine größere Konstruktionsänderung wächst mit dem Näherrücken des Fabrikationsbeginns.
- Kopiermaschinen zermangeln immer die Originalzeichnungen, von denen noch nicht einmal eine Kopie vorhanden ist.
- Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Maß in einer Zeichnung vergessen wird ist direkt proportional zu seiner Wichtigkeit.
- Jeder Fehler der sich in eine Berechnung einschleichen kann wird dies mit Sicherheit tun; und zwar so, daß man völlig von vorn beginnen muß.
- In jeder beliebigen Berechnung ist immer diejenige Zahl die Ursache von Fehlern, die am offensichtlichsten richtig war.
- Dezimalpunkte sind immer an der falschen Stelle, Vorzeichen immer vertauscht.
- Einen Hinweis, den man in einem Buch, Lexikon, Ordner oder ähnlichem sucht, findet man auf der letzten Seite, wenn man vorne anfängt zu suchen, und auf der ersten Seite, wenn man schlauerweise hinten anfängt.
- Eine totsichere Schaltung funktioniert nie.
- Eine Oszillatorschaltung ist durch nichts zum Schwingen zu bewegen; eine Verstärkerschaltung dagegen schwingt sofort.
- Ein durch eine ultraflinke Sicherung geschützter Transistor schützt die Sicherung, indem er zuerst hochgeht.
- Ein seit Wochen funktionierender Laboraufbau versagt plötzlich, wenn er dem Chef oder einem Kunden vorgeführt werden soll. (Dieser Teilaspekt des Gesetzes von Murphy ist als "Vorführeffekt bekannt).
3. Das Gesetz von Murphy in Fertigung und Service
- Je dringender man ein Bauelement braucht, desto schwieriger läßt es sich beschaffen.
- Benötigt man für ein Projekt n Bauelemente, dann sind n-1 auf Lager.
- Ist ein bestimmter Kapazitätswert erforderlich, so ist dieser Wert nicht vorrätig; außerdem läßt er sich weder durch Parallel- noch durch Serienschalten vorhandener Werte realisieren.
- Austauschteile sind in der Praxis nicht austauschbar.
- Ein auf richtige Länge abgeschnittener Draht erweist sich immer als zu kurz.
- Bauteile, die keinesfalls falsch eingebaut werden dürfen, und die auch garnicht falsch eingebaut werden können, sind es am Schluß doch.
- Ausgerechnet das zerbrechlichste Bauteil läßt man fallen.
- Die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Bauteils oder einer Baugruppe ist um so höher, je schwieriger eine Reparatur oder ein Austausch durchgeführt werden kann.
- Ein Werkzeug das versehentlich in ein Gerät fällt, landet unweigerlich an der Stelle, wo es den größten Schaden anrichten kann. (Dieser Spezialfall des Gesetzes von Murphy ist auch als "Selektive Gravitation" bekannt).
- Wenn ein Gerät komplett montiert ist, findet man noch übrige Bauteile auf der Werkbank.
- Wenn man in einem Gerät mit Aussetzfehler ein offensichtlich defektes Bauteil ersetzt hat, so tritt der Fehler wieder auf, sobald das Gerät im Einsatz ist.
4. Bemerkungen
Etliche der aufgeführten Beispiele, wie vor allem der "Vorführeffekt", sind den meisten von uns aus der Berufspraxis bestens vertraut; im übrigen sprechen wir auch von der "Tücke des Objekts". Dies alles deutet darauf hin, daß die Kenntnis des Gesetzes, welches Edsel Murphy formulierte, im deutschen Sprachbereich zumindest latent schon vorhanden war.
Möchten Sie nicht einmal von Ihren Zusammenstößen mit dem Gesetz von Murphy aus dem Bereich des Amateurfunks berichten?
Beispiel: Der (schon immer) überlastete Elko im Sendernetzteil explodiert natürlich dann, wenn man gerade die Funkverbindung seines Lebens hätte machen können.
Oder: In einer leicht verstümmelt aufgenommenen Nachricht fehlt gerade das Wort, welches dem Ganzen den Sinn geben würde.
5. Literatur
- Kirschvink, M.: Zur Philosophie der Elektronik elektronikpraxis 1970, Heft 3, Seite 67
- Klipstein, D.L.: The Contributions of Edsel Murphy to the Understanding of the Behavior of Inanimate Objects EEE Magazine, Vol.15 (1967), No.8, Seite 91 - 92
DL3WR, Robert Lentz.